Solidarität mit Wikileaks
Kaum ein Thema wurde in letzter Zeit in den Medien so heiß debattiert wie die Veröffentlichung der internen diplomatischen Dokumente des amerikanischen Außenministeriums durch die Internet-Plattform Wikileaks. Für Aufruhr sorgten nicht so sehr die Enthüllungen um den Informanten in Westerwelles Dunstkreis oder andere Details des glatten internationalen Parkett, auf dem nun einige Akteure ins Stolpern kommen, sondern die amerikanische Antwort darauf. Ohne dass rechtliche Schritte gegen die Plattform als solche eingeleitet worden wären, weigerten sich namhafte Firmen wie Mastercard, Paypal, Amazon oder Visa Aufträge im Zusammenhang mit Wikileaks zu bearbeiten und bekannte amerikanische Politiker forderten gar die Verschleppung, Folterung und Ermordung des Wikleaks-Sprechers Julian Assange. Passend dazu wurde dieser auch durch die schwedischen Behörden auf die Most-Wanted-Liste von Interpol gesetzt, durch die englischen Behörden inhaftiert und nun gegen Kaution wieder frei gelassen. Man könnte meinen, die Weltöffentlichkeit wird Zeuge eines Agenten-Thrillers im digitalen Zeitalter. Grund genug die Geschehnisse auch von studentischer Seite aus zu beleuchten.
Dass Wikileaks harte Realitäten aufdeckt, war schon länger bekannt. Das „geleakte“ (d.h. von einem angehörigen der Institution verschlüsselt übertragenen und durch die Website redeaktionell aufbereiteten) Video der emotionslosen und durch die Befehlshaber autorisierten Tötung irakischer Zivilisten durch amerikanische Hubschrauberpiloten hat viele Menschen schockiert und passt kaum zur gewohnten Selbstdarstellung von den Streitkräften des NATO-Bündnisses. Doch jenseits des menschlichen Leids, das bei einer bewaffneten Auseinandersetzung entsteht, und des durch Folter-Bilder angeschlagenen Rufs der teuersten Armee der Welt, werfen die neusten Ereignisse eine Frage auf, die sich vielleicht erst in naher Zukunft entscheiden wird: wie weit werden Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in europäischen und nordamerikanischen Ländern noch von ihren demokratisch gewählten Regierungen respektiert, wenn sie ganz klar im Gegensatz zu gesteckten Zielen, z.B. der Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen, stehen?
Dieser Fall ist ein guter Anlass, daran zu erinnern, dass das Verhältnis zwischen einer Staatsgewalt und ihren Normunterworfenen, sprich Bürgern, derzeit in den meisten Ländern Europas und Nord-Amerikas durch eine Verfassung als oberste Norm geregelt ist. Viele dieser Verfassungen, auch die deutsche, britische und amerikanische, enthalten Paragraphen zur Pressefreiheit. Zudem gibt es eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte seitens der UN, welche vielen Entscheidungen der internationalen Organe zugrunde liegt. Auch sie besitzt einen Paragraphen, der die Meinungsfreiheit als Menschenrecht garantiert. Der AStA der JLU Gießen hat nun einen Appell der u.a. von der taz, der Frankfurter Rundschau, dem Tagesspiegel, sowie dem European Center For Constitutionel and Human Rights (ECCHR) unterstützt wird, unterzeichnet. Darin werden alle Staaten und Unternehmen aufgefordert, sich dem „Feldzug gegen die bürgerlichen Rechte“, wie der massive Druck auf die Wikileaks-Website bezeichnet wird, zu widersetzen.
Was könnten die positiven Auswirkungen eines solchen Appells sein? Einerseits könnten die Regierungen aber auch die Justiz daran erinnert werden, dass ein Teil der Öffentlichkeit einer plötzlichen Abschwächung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit skeptisch gegenübersteht. Er könnte ein Signal setzen, dass die modernen Kommunikationsformen eher als Chance für transparentere Formen der Politik, denn als Gefahr für den status quo gesehen werden. Zumindest wird er aber zum Nachdenken über diese Fragen anregen und das ist dringend notwendig, denn obwohl zwischen Credit-Point-Jagd und Studentenjob wenig Zeit für die Lektüre der Verfassung bleibt, wird die zukünftige Reaktion der Regierungen auch von den Einstellungen unserer „digitial natives“ Generation zu diesem aktuellen Spannungsfeld abhängen. Natürlich kann man auch jetzt schon versuchen, aktiv Stellung zu beziehen, in dem man z.B. eine private Sicherheitskopie der Wikileaks-Seite ins Internet stellt (unter den über 2000 solchen Mirrors findet sich auch die Hochschule für bildende Künste Hamburg) oder andere kreative Formen des Protests wählt.